Dieser Artikel ist nach dem Schock vom 11. September geschrieben, aus dem Versuch zu
verstehen, was sich in Menschen abspielt, die so etwas planen und ausführen können und um
den alles überwältigenden Gefühlen von Schmerz, Ohnmacht und Wehrlosigkeit vielleicht
etwas entgegensetzten zu können, die durch ein solches Ereignis hervorgerufen werden,
wobei langsam für mich die noch keimhaft schlafende Kraft fühlbar wurde, die
der sinnlosen Gewalt gegenübersteht – die Kraft der Liebe.
Das Ringen um die menschliche Mitte
Über Liebe und sinnlose Gewalt
„Alles Äußere soll entzünden Selbsterkenntnis;
das Innere soll lehren Welterkenntnis.“
Rudolf Steiner
Gefühle sind in unserer wissenschaftlich-technologischen und das heißt durch den
pragmatischen Intellekt beherrschten Welt eigentlich kein Thema. Die meisten modern
denkenden Menschen betrachten Gefühle als Privatangelegenheit, als das subjektive Element
in seiner meist ausgesprochenen Form. Vom Gesichtspunkt einer männlichen no-nonsense
Welt aus sind sie ein nachsichtig geduldeter, manchmal zwar bereichernder und exotischer, für
die Sache aber letztlich nicht relevanter Beitrag, der zu vertraulichem Geplauder von Frauen
beim Teekränzchen gehört.
Wenn aber, so wie das seit dem 11. September immer stärker der Fall ist, bestimmte Gefühle
wie Flutwellen um die Erde gehen und ganze Völker und Kulturen in den Griff kriegen,
scheinen sie dieser verniedlichenden Geringschätzung Hohn zu sprechen und klopfen
machtvoll an die Tore des Bewusstseins. Was wollen sie sagen? Was bewirken Gefühle wie
Zweifel, Angst, Hass und Aggressionen in der Seele des Einzelnen und in der menschlichen
Gemeinschaft?
Die zersetzende Wirkung des Zweifels
Durch den Zweifel gerät der Mensch in Konflikt mit sich selbst. Er will die Welt begreifen. Er
verschafft sich in seinen Vorstellungen eine subjektive Repräsentation dieser Wirklichkeit, in
Abhängigkeit von seinem Standort in Raum und Zeit. Aber gerade dieser ganz natürliche
Drang, die Welt zu ergreifen und eigen zu machen, kann zu Zusammenstößen führen mit den
Mitmenschen, die genau dasselbe anstreben. In den subjektiven Gedankenbildern der
Wirklichkeit, die ein jeder als seine ihm eigenen Wahrheit mit sich trägt, liegt durch deren
Begrenztheit die Tendenz verborgen, die Gedanken des anderen zur Seite zu schieben,
auszuschließen und wo nötig zu überwältigen.
Im Vollzug dieser ausschließenden Gebärde liegt der erste, noch unsichtbare Keim von
Gewalt.
In dieser Situation kann das Ich irre werden an sich selbst. Das Streben nach Wahrheit und
Wirklichkeit kann es ja nur als gerechtfertigt erleben. Doch muss es bemerken, dass es
gerade auf Grund dieses Strebens zu einer Quelle zerstörerischer Kräfte im Sozialen werden
kann (antisoziale Triebe). Es beginnt an sich selbst zu zweifeln. Es fühlt sich zerrissen in sich
selbst und in Bezug auf all die verschiedenen, oft widersprüchlichen Auffassungen und
Meinungen, die aus der Außenwelt auf sein Gefühl eindringen.
Der Zweifel bringt das Ich aus dem Lot, dem der Kompass der Wahrheit im Denken
abhanden gekommen ist und das dadurch steuerlos (in sich selbst) und orientierungslos (in
der Welt) geworden ist.
Doch solange es nur um den Zweifel geht, ist im Äußeren noch nicht viel bemerkbar.
Zwar ist das Ich innerlich erschüttert, aber die anderen Wesensglieder sind noch fest ge-
fügt, werden noch zusammengehalten und strukturiert durch tragfähige alte Gewohnheiten,
traditionelle Leitbilder und Verhaltensnormen. Doch sind diese „Immobilien“ ironisch genug
gerade die Voraussetzung dafür, dass der Zweifel seine zersetzende Tätigkeit entfalten
kann. Sie liefern die Substanz, die er zernagt. Das Ich kann zunächst sogar seinen Spaß
daran haben, um auf dieses alte Brot loszustürzen und es zu zerkrümeln. Sein Selbst-
wertgefühl und seine Selbstständigkeit scheinen dadurch zu wachsen. Doch nach einiger